Dies ist ein Gastbeitrag von Lisa Haag und erschien im Original am 24. August unter diesem Link auf Krautinvest.de.
Spielen wir ein Gedankenspiel: Wir schreiben das Jahr 2030. GroĂe Teile der Welt haben Cannabis zumindest zu medizinischen Zwecken legalisiert und Patienten ĂŒber den Globus werden medizinisch versorgt. Hanf hat seine Rolle als Rohstoff zurĂŒckgewonnen und ist wieder Teil eines globalen Ăkosystems. Auch fĂŒr legales Cannabis gibt es einen Markt. LĂ€nder mit einem legalen Markt haben sich darauf geeinigt, wie sie regulieren und das Cannabis-GeschĂ€ft organisieren. In LĂ€ndern, in denen Cannabis legal angebaut und konsumiert wird, sind die Wertschöpfungsketten transparent, die Produkte sind sicher und der Schwarzmarkt hat abgenommen bzw. ist nicht mehr möglich.Â
So, oder so ungefĂ€hr, sieht ein mögliches Szenario aus, das Luc Richner sich fĂŒr Cannabis vorstellen kann. Er ist GrĂŒnder und GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Schweizer Software-Firma Vigia. Luc hat erst vor kurzem sein Masterstudiengang in Digital Leadership abgeschlossen. Seine These lag bei solchen Zukunftsszenarien, skizziert in Form einer Strategic-Foresight-Szenariobildung. Sein persönliches Utopia endet allerdings nicht bei Cannabis, fĂŒr das er und sein Team gerade die SaaS-Lösung Cannavigia aufbauen. Neben Cannabis beobachtet er weitere Themen wie z.B. Palmöl, ein strukturell intransparenter Markt, in dem Produkte entlang der Wertschöpfungskette besser nachverfolgt werden sollten. Luc und seine MitgrĂŒnder Elias Galantay (links im Titelbild) und Philipp Hagenbach (rechts im Titelbild) haben eine Software entwickelt, die Unternehmen auf bĂŒrokratischer, prozesstechnischen und organisatorischer Ebene die Arbeit erleichtern soll, aber auch Transparenz, Sicherheit und Interaktion von âSeed-to-Saleâ gewĂ€hrleisten kann.
âDer heutige Verbraucher will mehr und mehr wissen: Was ist drin? Wo kommt es her, wie wurde es hergestellt? Wir sehen, dass dieses BedĂŒrfnis der Endverbraucher auch bei den legalen Cannabisprodukten aus der Schweiz der Fall ist, die inzwischen ein Marktvolumen von mehrere Millionen CHF umfassen. Wir nutzen die Möglichkeiten eines digitalen Systems in Kombination mit bestehenden Standards, um Cannabis von Anbau bis zum Endkonsumenten respektive Patienten transparent und nachverfolgbar zu machenâ, sagt Luc Richner: âCannabis ist dabei nur besonders komplex und anspruchsvoll, unser Ziel ist, die Prozesse der Wertschöpfungsketten durch Digitalisierung zu vereinfachen und Schnittstellen dynamischer zu gestalten. So kann der Verbraucher praktisch vom Samen bis zum Kauf nachverfolgen, welche Schritte und Stationen das Produkt durchgemacht hat. Es bietet den Herstellern auch die Möglichkeit, mit ihren Kunden in den Dialog zu gehen. Es schafft Vertrauen und wir hoffen, dass sich das als neue NormalitĂ€t durchsetztâ.Â
Das glĂ€serne Cannabisunternehmen also, das Einblicke gibt in seine Prozesse und seinen Kunden QualitĂ€t verspricht. Aktuell sieht die RealitĂ€t anders aus. Cannabis wird global gröĂtenteils illegal ĂŒber den Schwarzmarkt gehandelt. Legale MĂ€rkte wie wie z.B. Kanada oder Colorado sind die Ausnahme. Die THC-Höchstwerte variieren von Land zu Land bzw. von Region zu Region (z.B. EU 0,2% THC vs. Schweiz 1% THC). Nutzhanf und CBD-Hanf sind teilweise legal oder in einem halb legalen Markt organisiert. Der medizinische Markt orientiert sich an bestehenden Pharmastandards. Der gemeinsame Nenner: All diese MĂ€rkte basieren auf eine und derselben Pflanze, fĂŒr die es aktuell keinen globalen Standard gibt. Ein gemeinsames Handelshemmnis, das die Pflanze jedoch ĂŒber die MĂ€rkte hinweg hat, ist ihr Status â definiert als illegale Droge durch internationale Drogenabkommen.
Trotzdem sind immer mehr internationale LĂ€nder wie Kolumbien, Lesotho oder DĂ€nemark inzwischen im Anbau medizinischen Cannabis und als ExportlĂ€nder aktiv, es entstehen gerade globale Wertschöpfungsketten. Auch fĂŒr Hanf öffnen sich immer neue MĂ€rkte.
Luc Richner: âWir sehen es so, dass sich schon aus der logischen Konsequenz fĂŒr den Verbraucherschutz und die Produktsicherheit globale Standards fĂŒr Cannabis entwickeln werden mĂŒssen. Wie diese final aussehen kann man aktuell schwer sagen. Medizinisches Cannabis wird nach G.A.C.P.-Standard angebaut und dann entsprechend entlang der Wertschöpfungskette unter Beachtung der âGuten Praxisâ sicher zum Patienten gebracht. Wir sehen Ă€hnliche Anforderungen an den Anbau von CBD-Cannabis. Der Konsument nimmt die Produkte direkt in den Körper auf. Wir denken, dass Sicherheit einer der wichtigsten Faktoren ist. Das betrifft ein MindestmaĂ an Sicherheit was z.B. Schwermetalle oder Schimmel angeht. Durch die fehlenden Standards, fehlenden Grenzwerte und die teilweise unklaren Marktbedingungen sind die Produkte auch nicht 100% sicher. Wir wollen den Kunden und Patienten genau das ermöglichen: zu verstehen, was sie zu sich nehmen, wo es herkommt und wie man damit umgeht.â
In weiter entwickelten MĂ€rkten wie Kanada oder in legalen Staaten in den USA konkurrieren in den umĂ€mpften Markt bereits einige Anbieter wie MJ Platform oder Strimo. Diese sind jedoch nicht oder aktuell nur bedingt auf den europĂ€ischen Markt vorbereitet und richten sich primĂ€r an deren HeimatmĂ€rkte und die dortigen Vorgaben. Auch diese Unternehmen mĂŒssen sich in Europa erst behaupten und die hochkomplexen Anforderungen, die mit dem Handel von Cannabis und Hanf in Europa einhergehen, verstehen.Â
âAls wir angefangen haben, haben wir uns stark am Pharmastandard fĂŒr medizinisches Cannabis orientiert. Wir sehen auch andere Standards, die relevant sind, wie die ISO-Norm, Lebensmittel-Standards wie FSS oder eigene Standards fĂŒr CBD auf der Schweizer nationalen Ebene wie das Swiss Certified Cannabis Label der IG-Hanf in der Schweiz (SCC), oder den amerikanischen Cannabis Compliance Standards. FĂŒr uns war schnell klar, dass wir hier in Europa eine eigene Lösung brauchen, angepasst auf europĂ€ische Wertschöpfungskettenâ, erklĂ€rt Richner wie es zur Software kam. âWir haben uns intensiv mit den verschiedenen Compliance- und Sicherheitsstandards auseinandergesetzt und festgestellt: Wir stehen nicht da, wo wir stehen könnten. Warum sollte fĂŒr Cannabis kein einheitlicher Standard herrschen? Und zwar der Standard, der am Ende ein sicheres und sauberes Endprodukt beim Patienten bzw. Konsumenten ankommen lĂ€sst.â
Langfristig scheint sich also auch hier in Europa ein milliardenschwerer Markt zu entwickeln. Im Rahmen der EU-Gesetzgebung könnte sich die Rechtslage in unterschiedlichen LĂ€ndern harmonisieren. In diese Richtung zeigen etwa das EuGH-Urteil zu Cannabidiol Anfang des Jahres sowie eine gerichtliche Entscheidung aus Frankreich, dass die Vermarktung von Cannabis sativa unabhĂ€ngig vom Zustand legal sei. In der Schweiz, der Heimat von Luc Richner, sind seit CBD-Produkte seit mehreren Jahren legal. âWir sehen an unserer CBD-Industrie vor Ort: Nach einer gewissen Zeit konsolidiert sich der Markt. Inzwischen trennen sich Spreu und Weizen.â
âWer es schafft, mit den Vorgaben *compliant* zu sein, schafft es, sich langfristig am Markt zu halten. FĂŒr die Unternehmen ist aber nicht nur der Schweizer Markt interessant. Unsere Kunden exportieren in und importieren aus den unterschiedlichsten LĂ€ndern, auch welche, die die gleiche Definition von Hanf mit bis zu 1% wie z.B. Uruguay. Ich bin der Meinung, dass wir die Produkte möglichst regional herstellen und verkaufen sollten, dies ist jedoch nicht immer möglich oder sinnvoll, denn der Bedarf nach Cannabisprodukten steigt global. Wir sehen aktuell einen starken Zuwachs an internationalem Handel. FĂŒr mich, mit meinem Hintergrund in der Logistik, bedeutet es, dass fĂŒr Cannabis mehr Warenverkehr stattfindet und möglich ist. Die Produkte kommen aus der ganzen Welt nach Europa, aber auch innerhalb des EuropĂ€ischen Wirtschaftsraums gibt es LĂ€ndergrenzen. Aktuell ist der Markt auch noch nicht harmonisiert und fĂŒr Behörden ist das Thema schwer zu handhaben. Das bedeutet somit einen hohen bĂŒrokratischen Aufwand in der Zollabwicklung, mit den Behörden und dem dazugehörigen Papierkrieg. Diese Prozesse sind weniger zeitintensiv, wenn man sie strukturiert abwickelt und transparent organisiert.â Â
Vigia wĂ€hlt fĂŒr seine Software einen ganzheitlichen Ansatz: Bei der Entwicklung stand die Wertschöpfungskette im Vordergrund, eingebettet in ein Ăkosystem und abgesichert mit einer entsprechenden Infrastruktur. Das System ist in vier Module aufgebaut 1. Anbau, 2. Manufacturing, 3. Distribution und 4. Customer Engagement. Besonders auf Schnittstellen hat das Team ein Augenmerk gelegt und arbeitet mit Cannabis erfahrenen Laboren, mit spezialisierten Dienstleistern und Experten zusammen. Ein weiteres Ziel war es, die Prozesse nicht nur fĂŒr AuĂenstehende, sondern auch fĂŒr die Firmen selbst transparent zu machen. Durch die Software können Firmen auch ihre internen Prozesse optimieren, QualitĂ€tsstandards implementieren, ProzesslĂŒcken aufdecken und den Ertrag steigern.

âIn der Schweiz sind wir mit der Gesetzeslage anders aufgestellt als in anderen LĂ€ndern, daher ist die Abgrenzung beim CBD notwendig. Auch ein Modellprojekt wird hier in naher Zukunft RealitĂ€t. Wir sind in unserem Heimatmarkt an einem Punkt, an dem wir langsam eine SĂ€ttigung bzw. Ăberproduktion erfahren. Das ist ein PhĂ€nomen, das man auch in anderen internationalen LĂ€ndern z.B. Kanada sieht. Das Wichtigste ist, dass die Produkte fĂŒr den legalen Markt erhalten bleiben, keine Manipulation stattfindet und sie Nichts an einer Stelle in den illegalen Markt verloren gehen. Wir haben inzwischen auf unserer Plattform 1.451.691 Pflanzen getrackt. Eine Software ist nicht nur fĂŒr groĂe Unternehmen eine sinnvolle Sache, wir haben auch kleine Kundenâ, betont Luc Richner. âDas GrundgerĂŒst haben wir mit einem Schweizer Bio-Hanf-Hersteller aufgesetzt. Da wir in unserem Team alle Unternehmer sind, war es uns ein wichtiges Anliegen, etwas zu entwickeln, dass auch als eine Art Management-Tool eingesetzt werden kann. Der digitale Aspekt ist dabei fĂŒr uns der SchlĂŒssel zu Transparenz, Nachverfolgbarkeit und Wirtschaftlichkeit.âÂ
Cannavigia setzt fĂŒr die Software auf Blockchain Technologie zur Absicherung durch Timestamps und auf den globalen Barcode Standard GS1. âWir wollten anfangs eine eigene Blockchain basierte Lösung schreiben, wobei wir dann ziemlich schnell einsehen mussten, dass das mit dem verarbeiteten Datenvolumen nicht skalierbar ist. Auf eine private Blockchain wollten wir nicht ausweichen, da das eher einer Datenbank gleichkommt und dabei den Mehrwert nicht gesehen haben. Letztlich haben wir uns bei der Entwicklung auf eine Cloud-basierte SaaS-Lösung konzentriert. Unsere Server sind dabei dreifach gebackuped und in verschiedenen Servern in der Schweiz hinterlegt. Dennoch nutzen wir fĂŒr uns die Vorteile der Blockchain, denn diese bietet nĂŒtzliche Möglichkeiten zur Absicherung der Lieferketten und zum Erhalt der SouverĂ€nitĂ€t der Prozesse. Wir sichern die Prozesse auf drei unterschiedlichen Blockchains durch Zeitstempel. Hierdurch werden sie gewissermaĂen unverĂ€nderlich, und selbst wenn dennoch eine Manipulation stattfindet, wĂ€re die Dokumentation an einer anderen Stelle doppelt gesichertâ, erklĂ€rt Richner.
Medizinisches Cannabis ist noch am ehesten einheitlich standardisiert, dennoch herrscht kein globaler Standard. Auch das Internationale Narcotics Comission Board (INCB), hat sich Anfang des Jahres getroffen, umÂ ĂŒber Cannabis zu beraten â insbesondere im Bezug auf internationale Standards fĂŒr die Kontrolle des Anbaus, der Herstellung und der Verwendung von Cannabis fĂŒr medizinische und wissenschaftliche Zwecke. Das INCB ist ein unabhĂ€ngiges, quasi-richterliches Gremium, das die Aufgabe hat, die Einhaltung der drei internationalen Drogenkontrolle Ăbereinkommen durch die Regierungen zu fördern und zu ĂŒberwachen. Diese wurden zuletzt 2020 in Bezug auf Cannabis aktualisiert, jedoch nicht so weit, wie es möglich gewesen wĂ€re.Â
âWir sehen langfristig eine Harmonisierung rund um Cannabis, gepaart mit dem allgemeinen Wunsch nach Transparenz in den Lieferketten von Verbraucherseite. Es ist viel Bewegung in dieser Richtung. Das gilt nicht nur an den MĂ€rkten zu Hanf, sondern auch an den aufkommenden neuen MĂ€rkten bzw. LĂ€ndern, die fĂŒr sich den Anbau und die Verwendung von medizinischem Cannabis entdecken. Langfristig werden sich hieraus hoffentlich klare Rahmenbedingungen und Best Practices ergeben, die den internationalen Handel mit gewissen Produkten ermöglichen. FĂŒr unsere Software gehen wir daher davon aus, dass wir ein agiles System bauen, das die wesentlichen Aspekte und Standards abdeckt. Das tun wir, um den Unternehmen zu ermöglichen, diesen Vorgaben zu entsprechen und die Schnittstellen so zu gestaltet, dass sie das Produkt zu jedem Zeitpunkt in der Wertschöpfungskette sicher verorten. Hierdurch wird es fĂŒr alle Beteiligten im Prozess transparent und nachverfolgbar. Langfristig werden nur Unternehmen in der Lage sein am Markt zu agieren, die die hohen Standards sichern, kontrollieren und einhaltenâ, so Richner zu den Entwicklungen am internationalen Markt.
âUnsere Software bietet besonders fĂŒr das aufstrebende europĂ€ische Cannabis System eine digitale Lösung, die fĂŒr alle Beteiligten am Prozess einen Mehrwert bringt. Das wird zusĂ€tzlich wichtig, wenn die Industrie fĂŒr legale Cannabisprodukte sich weiter entwickelt und die Legalisierung von Cannabis ĂŒber den Globus voranschreitet. Wir sehen, dass es aktuell nicht nachhaltig ist, dass sich schnell gesĂ€ttigte EinzelmĂ€rkte bilden. Der einzige Weg hieraus ist, eine globale Industrie mit WarenflĂŒssen zu ermöglichen. DafĂŒr benötigen wir valide Verfahren, vernĂŒnftige Standards, praxisnahe und zentrale Vorgaben â sonst wird es nicht funktionieren. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg dahin. Digitale Tools wie unseres sind Beschleuniger, die diese Entwicklung skalieren und zentral steuerbar machen. Wir sind gespannt, wohin sich die Industrie langfristig entwickelt.â
Ăber Luc Richner:
Luc wurde in der Schweiz geboren, wuchs aber in Asien auf. Nach Abschluss seiner Ausbildung und seines Studiums in der Schweiz folgte Luc seiner Berufung, Unternehmer zu werden. Auf der Grundlage seiner Erfahrungen in den Bereichen Logistik und Management widmete sich Luc in seinem ersten Unternehmen dem Upcycling gebrauchter Materialien zu hochwertigen Möbeln und Dekorationsartikeln. In den folgenden Jahren wagte er sich in die globale Logistikbranche vor, grĂŒndete ein Beratungsunternehmen, das Welten miteinander verbindet, und grĂŒndete ein einzigartiges, lokales und nachhaltiges Farm-to-Table-Restaurant in Bali, Indonesien. Zurzeit ist Luc einer der wenigen Absolventen der Pionierklasse fĂŒr den Executive MBA in Digital Leadership an der HWZ ZĂŒrcher Hochschule fĂŒr Angewandte Wissenschaften in Business Administration. Er ist GrĂŒnder und GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Schweizer Vigia AG.